Posted on: 13. Juli 2013
#Physik #Mathematik #Klaus Wyborny #Film #Theorie #Forschung

Spacetime I: Theoretical Physics and Film


zu diesem Thema referieterte Klaus Wyborny letztes Jahr am «Think:Film – International Experimental Cinema Congress» in Berlin.
Der Filmemacher und Physiker erforscht seit Jahren die Schnittechniken des Spielfilms, im Januar erschien nun sein neues, knapp 500 seitiges Buch:

Klaus Wyborny
Elementare Schnitt-Theorie des Spielfilms
Filmtheoretische Schriften Band 1
Bd. 8, 2012, 464 S., 44.90 EUR, br., ISBN 978-3-643-11053-4

«In Klaus Wybornys Filmtheoretischen Arbeiten Band 1 geht es vor allem um eine Beschreibung der in Spielfilmen auftauchenden Schnitt-Typen, wobei grosser Wert auf eine bis ins Detail gehende Analyse der zahlreichen Blicke gelegt wird, die die Spielfilmform am nachhaltigsten prägen. Basis der Analyse ist dabei die Herausarbeitung eines naturwissenschaftlich exakt beschriebenen Systems von Koordinaten-Transformationen, die man als Zuschauer bei jedem Schnitt bei der Filmraumkonstitution reflexhaft zu leisten hat, wenn man der Handlung folgen will.» Pressetext zum Buch

Wyborny analysierte über Jahre akribisch die Schnittfolgen von Spielfilmen. Wie ist der Raum aufgebaut, die Zeit, Blicke, Bewegungen und lineares Erzählen? Er studierte hunderte von Filmen, nahm sie auseinander, reduzierte sie auf ihre Schnittabfolgen um schlussendlich auf den Kern, das Elementare der Erzählung zu stossen. Und da Wyborny nicht nur Filmemacher, sondern auch Physiker ist, gab er sich erst mit seiner Forschung zufrieden, als er daraus verbindliche mathematische Formeln ableiteten konnte.

«Film has no language. It doesn't have an equivalent for ‹no›. There is no negation. And without negation there is no language. But film has complex ordering-systems.» – Klaus Wyborny

Klaus Wyborny, Elementare Schnitt-Theorie des Spielfilms
S. 455/456, Elementare Schnitt-Theorie des Spielfilms, © LIT Verlag
Klaus Wyborny, Elementare Schnitt-Theorie des Spielfilms
S. 144/145, Elementare Schnitt-Theorie des Spielfilms, © LIT Verlag
Klaus Wyborny, Elementare Schnitt-Theorie des Spielfilms
S. 162/163, Elementare Schnitt-Theorie des Spielfilms, © LIT Verlag

Ich muss gestehen dass ich die Formeln in Wybornys Buch nicht wirklich lesen kann, – hierfür fehlt mir das mathematische Verständnis. Ich stelle mir jedoch vor, wie ein Physiker beim lesen dieser Zeichen sich den Spielfilm und die Dramaturgie schon bildlich vorstellen kann. Vielleicht wird es irgendwann ein Schnittsoftware geben, die sich dieser Formeln bedient und durch welche Hollywood dann ihre Filmaufnahmen durchspeist um am Ende ihren fertigen Blockbuster rauszuziehen. Man könnte zwischen den verschiedenen Filmgenres wählen, und per Tastenklick sein Actionfilm, Filmdrama, oder Romantische Komödie automatisch rechnen lassen.

Die Formel für den perfekten Horrorfilm sieht z. Bsp. gemäss britischer Mathematiker so aus:
(es+u+cs+t)² + s + (tl+f)/2 + (a+dr+fs)/n + sin x - 1

Kunst und Mathematik: Johann Sebastian Bach hat die Variationen seiner Tonfolgen nach Regeln der mathematischen Kombinatorik «durchgespielt», der Österreicher Alban Berg seine Kompositionen am Goldenen Schnitt ausgerichtet. Die Zwölftonmusik mit ihren Verhältnissen der Intervalle zueinander ist fast pure Mathematik.

Im Avantgarde Film gibt es viele strukturelle Richtungen, mechanische und auch mathematische Kompositionen. Klaus Wybornys eigene Filme bewahren sich jedoch dem Zufall und der Spontanität, – vielleicht gerade weil er Mathematiker ist.

«The latter ones kind of play a simple number game. Of course, i also play number games but I try to expand them. I try to get over the simplicity of their structures by making chance decisions in the middle of them. I break them up. For I developed a great mistrust against so called ‹logical› structures, thats why I left mathematics and switched to film. I don't want to repeat the same logical, rational structures and ideas that came to the European mind in 1600. I don't want to do this in cinema. A-B-C-logic in cinema doesn't interest me.» – Klaus Wyborny


Links:
Website über Klaus Wyborny:
http://wyborny.cinegraph.de

Kompletter Text «Zum Schnitt im konventionellen Spielfilm» unter:
wyborny.cinegraph.de/Wymac/COMARTIS/Comedie/6_10csch.htm

Klaus Wyborny zum Thema «Einführung in die Schnitt-Theorie des Spielfilms», Hochschule für bildende Künste in Hamburg, 2007
Podcast: podcampus.de/nodes/3664

Jonas Mekas about Klaus Wyborny
wyborny.cinegraph.de/Wymac/ATYPEE/Vita/Materie/Mekint.htm

Gespräch Heinz Emigholz mit Klaus Wyborny
hwyborny.cinegraph.de/Wymac/ATYPEE/Vita/Materie/Emig.htm

Interview with Klaus Wyborny by Federico Rossin
cmzimmermann.blogspot.ch/2012/06/interview-with-klaus-wyborny.html

Links und Texte zur Montagetheorie des Films, zusammengestellt von Gerhard Schumm
montagetheorie.de/index_zwei.html